Gipfelglück am Kramerspitz im Ammergebirge

18. Mai 2014 Michaela Hergersberg

Der Wetterbericht sah eigentlich nicht so aus, als würde man gerne acht bis neun Stunden draußen verbringen wollen. Achtzig Prozent Niederschlagswahrscheinlichkeit, böiger Wind mit bis zu sieben Beaufort, Schneefallgrenze bis auf 1300 Meter sinkend – und das Mitte Mai. Aber Nina und Michi wollten mich überzeugen, dass sie von einem Gipfel in der Sonne wüssten.

Ich zweifelte an der geistigen Gesundheit meiner Bergfexe

Und weil mir meine Bergfreunde niemals einen Schmarrn erzählen würden, glaubte ich ihnen, dass sie den einzigen Berg in den Nordalpen kennen würden, an dem Petrus an diesem Tag die Sonne  scheinen lassen würde. Als auf der Autobahn jedoch die ersten Regenschauer auf die Windschutzscheibe niederprasselten, regten sich in mir erste Zweifel hinsichtlich der geistigen Gesundheit meiner beiden Bergfexe.

Als wir am vereinbarten Treffpunkt ankamen, war es gerade trocken, und mein Rucksack und ich traten vorsichtshalber in Regenbekleidung gehüllt den beiden tapfer entgegen. Frohen Mutes, voller Optimismus und gut gelaunt führte uns Michi querfeldein über eine Wiese auf den nahegelegenen Wald zu, wo sich für mich erst einmal kein Weg erkennen ließ. Der gut versteckte Maurersteig will aber auch nicht von jedem gefunden werden. Schon nach zehn Minuten wurde uns auf dem schmalen Pfad, der steil bergauf führte, zu warm und die Regenjacken verschwanden  im Rucksack.

Um uns herum trieb der Wind Schneewolken wie Spielbälle durch die Atmosphäre

Durch Laubwald stiegen wir auf, und die Sonne malte helle Lichtflecke auf den Waldboden. Der mit jedem Höhenmeter freiere Blick auf die uns umgebenden Berge gab aber wenig Anlass für sonnigen Optimismus. Der nahegelegene Hohe Fricken war in dichte, graue Wolken gehüllt aus denen heftige Schauer niedergingen, was an den nach unten ausgefransten Wolkenrändern gut zu erkennen war. Der Schnee auf der Alpspitze dagegen leuchtete im gleißenden Sonnenlicht.

Der Laubwald lichtete sich immer mehr, und wir konnten erstmals die steil aufragenden Kalkfelswände erkennen, die charakteristisch für diesen einzigartigen Weg sind.

Mit Kreuzen und Kerzen gedenken die Einheimischen den verunglückten Bergsteigern

Artikelbild Kramerspitz Aufstieg

Der Aufstieg Richtung Kramerspitz ist steil und erfordert Tittsicherheit und Schwindelfreiheit

Artikelbild Kramerspitz verunglueckte Bergsteiger

Mit Kerzen, kleinen Kreuzen und Marienstatuen gedenken die Einheimischen den verunglückten Bergsteigern

Je höher wir kamen, umso steiler wurde das Gelände und verlangte Konzentration und Trittsicherheit. An einer Felsennische machten wir halt. Hier hatten Einheimische Kreuze und Kerzen aufgestellt, um den am Berg Verunglückten zu gedenken. Wir hielten eine Weile  inne.

Nun blieben von dem Wald nur einzelne Kieferbäume übrig, zwischen denen Grasmatten reichlich Platz fanden und  Aurikel und Enzian das Auge erfreuten. So war es auch gar nicht weiter verwunderlich, als vor uns auf einmal zwei Gämsen auftauchten, die ohne Scheu in nur 30m Entfernung grasten. Mit unserer Kamera im Anschlag näherten wir uns ihnen vorsichtig. Nur um zu erleben, wie die beiden mit leichtfüßiger Eleganz den Berg steil emporsprangen, als wir uns in Position bringen wollten. Als würden sie das amüsieren blieben sie nach zehn Metern stehen und grasten in Seelenruhe weiter.

Nach etwa zweieinhalb Stunden erreichten wir den Königsstand und die Freifläche erlaubte einen ungehinderten Blick auf das gesamte Wettersteingebirge. Jetzt wurde gerade die Alpspitze ordentlich geduscht, und auch an der Zugspitze türmten sich bereits die Wolken hoch auf.

Mit Gelächter vertreiben wir die Regenwolken

Das würde ja eine feuchtfröhliche Pause werden. Unserer guten Laune tat das keinen Abbruch, und unter viel Gelächter verglichen wir unsere Wegzehrung und machten Fotos mit komischen Grimassen. Dazu erzählte Michi lustige Geschichten von golfspielenden Einheimischen.

Artikelbild Kramerspitz Gämsen

In aller Seelenruhe grasen die Gämsen vor uns

Artikelbild Kramerspitz Grimassenschneider Nina und Michi

Nina und Michi schneiden am Königsstand Grimassen und mit unserem Lachen vertreiben wir die Regenwolken

Über uns rissen die Wolken, die eben noch Regenschauer versprachen, mit einem Mal auf und gaben den Blick frei auf strahlend blauen Himmel. Mit unserem Gelächter hatten wir sie wohl vertrieben.

Weiter ging es über einen gemütlichen Weg zum Bergrücken des Kramerspitz, dessen Gipfelkreuz in weiter Ferne schon zu sehen war. Von hier oben hatten wir freien Blick über die Ammergauer Alpen, das Estergebirge, das Karwendel- und das Wettersteingebirge. Zu unseren Füßen lag Garmisch-Partenkirchen. Das Loisachtal erstreckte sich Richtung Murnauer Moos und der Horizont versank in einem Wolkenmeer.

Eine Wanderung mit traumhaften Aussichten

In einem ständigen Auf und Ab rückte das Gipfelkreuz nur langsam näher. Und wenn man dachte, jetzt hätte man es doch eigentlich erreicht, musste man auf der nächsten Kuppe feststellen, dass es wieder nur wenig näher gekommen war und der Weg als nächstes noch einmal ein paar Höhenmeter hinab führen würde. Während dieser traumhaften Wanderung mit fantastischer Aussicht wechselten Sonne und Wolken, aus denen Frau Holle manchmal ein paar Schneeflocken schüttelte, die uns frech umtanzten, während uns die Sonne auf der Nase kitzelte.

Ein kleines Liedchen als Ausdruck unseres Gipfelglücks

Artikelbild Kramerspitz Gipfel

Unterhalb des Gipfels vom Kramerspitz

Artikelbild Kramerspitz Stepbergalm

Die Stepbergalm hatte leider noch geschlossen

Endlich am Gipfelkreuz angekommen überwältigte uns die Euphorie und unterbrochen von viel Gelächter sangen Michi und ich ein Liedchen, das Nina gleich mit ihrer Kamera dokumentierte. Meine schräge Intonation wäre allerdings zu peinlich, um sie hier wiederzugeben. Doch nachdem uns während der Wanderung niemand begegnet war, lauschte nur der Wind unserem Gipfelglück. Zurück führte uns der Weg über die Stepbergalm, die leider noch geschlossen hatte.

Bergabwärts tauchten wir wieder ein in den Wald, der zuerst aus Kiefern bestand und nach und nach in Laubwald überging.

Welch ein Glück einen so wunderschönen Tag zu erleben

In den höheren Lagen erwachten die Bäume gerade erst aus dem Winterschlaf und das Grün ihrer Blätter war flaumig-zart. Unsere Gespräche wurden zunehmend philosophisch, als wir von dem Glück sprachen, einen solchen Tag wie den heutigen erleben zu dürfen.

Nach gut acht Stunden erreichten wir wieder den Parkplatz und waren einhellig der Meinung, dass es eine traumhafte Bergtour gewesen sei, bei der uns das Wetter gewogen war. Wenn ich während der Wanderung die Regenjacke trug, dann nur, weil einen der kalte Wind frieren ließ. Ansonsten war das Wetter in den uns umgebenden Bergen ein Schauspiel mit dramatischen Einschlägen, wenn die Wolken einmal einen Berg einhüllten und eine halbe Stunde später frisch überzuckert wieder frei gaben.

An den Wetterfroschfähigkeiten meiner Bergfreunde werde ich nächstes Mal weniger zweifeln, denn sie hatten ohne Frage die richtige Bergwanderung ausgewählt, die für mich das Zeug hat, zur schönsten des Jahres zu werden. Dabei hat die Sommerbergsaison doch gerade erst begonnen.

Und wenn Sie noch mehr Fotos sehen möchten, schauen Sie doch bei unseren Bergbildern vorbei.

Artikelbild Kramerspitz Zugspitzmassiv

Zum Nachmittag leuchtet auch das Zugspitzmassiv mit dem Eibsee in der Sonne