Eine Anleitung zum Glücklich sein in drei Teilen – Teil 1: Flow-Erfahrung am Berg
Nach fünf Tagen großer Hitze auch in Höhen von über 2500m und nach mehr als 6500 Höhenmetern mit einem schweren Rucksack bergauf und bergab liegt der letzte Anstieg vor uns: 250 Höhenmeter in einem Geröllfeld, durch das hinauf zur Gamsscharte ein schmaler Pfad führt, der mal besser, mal schlechter zu erkennen ist. Die Sonne brennt seit den frühen Morgenstunden auf uns herab, und ich schwitze mehr als ich Trinken kann. Aber es geht weiter. Noch einmal ein Schluck aus der Wasserflasche und wir gehen an der Weggabelung vorbei, die ins Tal führen würde – für uns allerdings ins falsche.
Unser Weg führt uns erst flach auf einer Höhenlinie direkt unter die Scharte, dann geht es in steilen Serpentinen 250 Höhenmeter bergauf. Entlang der Höhelinie wurde mein Herzschlag wieder ganz ruhig und ich verfalle in einen gleichmäßigen Trott. Wir laufen einfach vor uns hin und hängen unseren Gedanken nach. Der Blick ist nur wenige Meter vor mich auf den Wegabschnitt gerichtet, den meine Füße einen Atemzug später erreichen. Als der Anstieg kommt, bleibt die Schrittgeschwindigkeit gleich, nur die Länge meiner Schritte verringert sich.
Schwerelos, ohne Gefühl für Raum und Zeit
Trotz der Anstrengung der letzten Tage fühle ich mich auf einmal leicht. Ein Schritt folgt dem nächsten, als sei in mir ein Motor, der meine Beine bewegt. Zügig geht es voran. Schwerelos. Herzschlag, Atmung und Schrittgeschwindigkeit sind im Einklang. Ich bin überrascht, dass mir das Gehen auf einmal gar nicht mehr schwerfällt. Mein Kopf wird leer und ich bewege mich ohne Gefühl für Zeit und Raum. Alles fließt. Ich bin im Flow!
Etwa in der Hälfte der Wegstrecke wird das Geröll weicher. Jeder Schritt sinkt ein wenig ein und wird damit etwas mühseliger. Die Maschine in mir kommt aus dem Rhythmus. Das Herz schlägt schneller und die Füße kommen nicht mehr ganz hinterher. Ich versuche etwas langsamer zu gehen. Da wird der Untergrund wieder fester und es geht im gleichen Rhythmus weiter.
Ein Geröllfeld voller Goldnuggets
50 Meter unterhalb des Durchstiegs blicke ich zur Scharte hoch. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und im grauen Geröll leuchten lauter Goldnuggets. Gelber Gletschermohn hat seine Wurzeln tief im Geröll vergraben und versucht, in dem weichen Gerutsche Halt zu finden. Das Gelände ist so steil, dass die Sonne durch die Blütenblätter scheint, die golden glänzen. Ein Bild, das ich festhalten möchte. Aber keine Kamera der Welt könnte diesen Augenblick einfangen, der aus mehr besteht, als nur aus goldenen Blütenblätter in einem ansonsten trockenen und trostlosen Geröllfeld. Es ist das Gefühl der Entrücktheit aus dem Hier und Jetzt, des Einklangs von Geist und Körper, des Eins-seins mit Allem.
Intensiv erlebe ich diesen Flow-Moment. Glück und Zufriedenheit fluten meinen Körper. Für einen Surfer wäre es die perfekte Welle. Für mich ist es der perfekte Augenblick in den Bergen. Ich möchte ihn genießen und festhalten. Aber er ist wie eine Seifenblase, die erst bunt schillert und im nächsten Augenblick zerplatzt. Und gerade diese Vergänglichkeit macht für mich aus diesem kleinen Erlebnis eine ganz große Bergerfahrung.
Den zweiten Teil der Anleitung zum Glücklich sein in den Bergen finden Sie hier.
Und wenn Sie etwas über den Wert des Bergsteigens erfahren wollen, lesen Sie doch diesen Blog-Beitrag.